Vor Sonnenaufgang

Der Arbeitsauftrag für Journalist Alfred Loth ist klar. Er soll über die Spaltung der Gesellschaft, den rechtspopulistischen Ruck, der sie erschüttert, und den daraus resultierenden Graben schreiben. Kein allzu schwieriges Unterfangen, denn das Thema ist ihm erstaunlich nahe: In seinem Heimatort ist sein alter Studienkamerad Thomas zum populistischen Provinzpolitiker aufgestiegen. Da es kaum bessere Anschauungsobjekte gibt, stattet Alfred Thomas einen unangekündigten Besuch ab. Dieser wohnt traditionsbewusst mit seiner schwangeren Ehefrau im Haus der Schwiegereltern. Ohne seinen Auftrag preiszugeben, taucht Alfred dort in die "Familienidylle" ein, beobachtet die Alkoholsucht von Thomas' Schwiegervater, die Lethargie der Schwiegermutter und die tiefe Unzufriedenheit aller. Als ­Alfreds Motive schließlich auffliegen, prallen zwei unvereinbare Welten aufeinander.

Palmetshofer hat mit "Vor Sonnenaufgang" eine spannende und zeitgemäße Bearbeitung von Hauptmanns Klassiker geschaffen und sie von ihrer Vorlage so losgelöst, dass sie klar und durchdringend den gegenwärtigen Zustand unserer Gesellschaft zeigt und dabei schonungslos ihre Zerrissenheit, Grabenkämpfe um Deutungshoheit, Fake-News und das Gefühl des Abgehängtseins beleuchtet.

Presse:

"Wenn man das Ausschweigen, Aussitzen und das Verpassen von Chancen, miteinander ins Gespräch zu kommen, zu einer Kunstform erheben kann, dann ist dies dem Regisseur Jakob Arnold mit der Landesbühnen-Inszenierung von Ewald Palmetshofers "Vor Sonnenaufgang" nach Gerhart Hauptmann absolut gelungen. (...) Es knistert nur so, wenn die Schulfreunde Alfred (Robert Zimmermann) und Thomas (Simon Ahlborn) beim ersten Wiedersehen nach zwölf Jahren verbal bekunden, sich am liebsten zu umarmen, aber sich über meterweite Entfernung über einen derart langen Zeitraum nicht aufeinander zubewegen, dass die Geste schließlich zu einer unglaubwürdigen Handlung wird. Dieses Mittel hat Arnold geschickt eingesetzt: Sobald sich in der Kommunikation eine Annäherung anbahnt, handelt die Gestik konträr. (...) Dass dies in dieser Inszenierung mit fast wuchtiger Intenstität funktioniert, ist der intensiven Regiearbeit ebenso zu verdanken wie der eindrucksvollen Leistung des Ensembles." (Wilhelmshavener Zeitung vom 13. Februar 2020)

"Die große Sprachlosigkeit, die Pseudo-Kommunikation ist ein Kernthema, das durch Arnolds Inszenierung anschaulich wird: Die Figuren schauen sich nicht in die Augen, starren oft ins Leere. Alles ist verklemmt, erzwungen, anklagend. (...) Dass dies gelingt, ist den hervorragenden Schauspielern zu verdanken." (Jeversches Wochenblatt vom 13. Februar 2020)