Winterreise
„Fremd eingezogen, fremd ausgezogen, die Leier drehend, immer dieselbe Leier“.
Die „Winterreise“ ist der persönlichste Text von Elfriede Jelinek. Er erzählt von Menschen, die aus der Zeit gefallen sind. Streben und Verlust, Liebe und Verlassenheit, Heimat und Haltlosigkeit: Jelinek führt uns mitten in das Chaos unserer Gegenwart. Ausgehend vom berühmten Gedichtzyklus von Wilhelm Müller, der von Franz Schubert kongenial vertont wurde, schickt sie ihre namenlosen Figuren in ihre ganz eigene Winterreise.
Diese Reise führt in acht Kapitel an unterschiedlichste Orte: Undurchdringliche Bankenskandale, die Medienhetze gegen Natascha Kampusch, Datingplattformen und Skihütten, dazu philosophische Reflexionen zu Zeit und Endlichkeit. Der Text ist eine Spurensuche durch den Wirrwarr unserer Zeit und endet ganz persönlich: „Immer dreht sie ihre Leier“ ätzt die Autorin gegen sich selbst. Vorher hat sie ihren Vater zu Wort kommen lassen, der sein Leben, in Demenz versunken, in einer Irrenanstalt zu Ende brachte. Jelinek zeigt uns Menschen, die am Leben vorbei leben, solche, die aus der Gesellschaft gefallen sind.
Dabei schont sich die Autorin an keiner Stelle. „Ich stecke fest in meinem Scheitern“, stellt das lyrische Ich fest. Der poetischste Text der Literaturnobelpreisträgerin führt uns hinein in die großen Fragen der menschlichen Existenz – und in die persönlichen Tragödien der größten Dramatikerin unserer Zeit.